......
ich breite einsam beide Arme aus,
und keiner sagt mir, wo ich hingehöre.
......

aus Rilke: "Mir ist, als ob ich alles Licht verlöre"

Dienstag, 31. Januar 2012

Einmal am Rande des Hains


Einmal am Rande des Hains

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Einmal, am Rande des Hains,
stehn wir einsam beisammen
und sind festlich, wie Flammen
fühlen: Alles ist Eins.

Halten uns fest umfaßt;
werden im lauschenden Lande
durch die weichen Gewande
wachsen wie Ast an Ast.

Wiegt ein erwachender Hauch
die Dolden des Oleanders:
sieh, wir sind nicht mehr anders,
und wir wiegen uns auch.

Meine Seele spürt,
daß wir am Tore tasten.
Und sie fragt dich im Rasten:
Hast Du mich hergeführt?

Und du lächelst darauf
so herrlich und heiter
und: bald wandern wir weiter:
Tore gehn auf..

Und wir sind nichtmehr zag,
unser Weg wird kein Weh sein,
wird eine lange Allee sein
aus dem vergangenen Tag.

Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier (1897/98)

Du weißt mein müder Wille


Du weißt mein müder Wille

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Du weißt: mein müder Wille
lag vor dir auf den Knien,
und flehte“ Sei die Stille“
Und du erhörtest ihn.

Du sahst: in heißem Hauchen
Ward Kranz und Kraft ihm alt,
Und er muß Kühle brauchen -:

Da warst du wie der Wald.

Und hattest tausend Tiefen,
Und wurdest wild und weit,
Und viele Stimmen riefen
Aus deiner Seltsamkeit.

Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier

Montag, 30. Januar 2012

Die Nacht der Frühlingswende


Die Nacht der Frühlingswende

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(Capri, 1907)

Ein Netz von raschen Schattenmaschen schleift
über aus Mond gemachte Gartenwege,
als ob Gefangenes sich drinnen rege,
das ein Entfernter groß zusammengreift.

Gefangner Duft, der widerstrebend bleibt.
Doch plötzlich ists, als risse eine Welle
das Netz entzwei an einer hellen Stelle,
und alles fließt dahin und flieht und treibt....

Noch einmal blättert, den wir lange kannten,
der weite Nachtwind in den harten Bäumen;
doch drüber stehen, stark und diamanten,
in tiefen feierlichen Zwischenräumen,
die großen Sterne einer Frühlingsnacht.

Rainer Maria Rilke 1907

Samstag, 28. Januar 2012

Die Engel


Die Engel

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Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.

Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.
Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.

Aus Rainer Maria Rilke: Das Buch der Bilder

Du lächelst leise



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Du lächelst leise und das große
Auge grüßt die Dämmerung.
Die Hände schimmern dir im Schooße
und deine Hände sind so jung.

Sie sind nicht müde, wenn sie rasten;
ein Lauschen nur ist ihre Ruh.
Sie warten wie auf Orgeltasten
einer neuen Hymne zu.

Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier

Dienstag, 24. Januar 2012

Das Leben ist gut und licht



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Das Leben ist gut und licht.
Das Leben hat goldene Gassen.
Fester wollen wirs fassen,
wir fürchten das Leben nicht.

Wir lieben Stille und Sturm,
die bauen und bilden uns beide:
Dich - kleidet die Stille wie Seide,
mich - machen die Stürme zum Turm...
Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier

Mittwoch, 18. Januar 2012

Sei du mir Omen



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Sei du mir Omen und Orakel
und führ mein Leben an zum Fest,
wenn meine Seele, matt vom Makel
die Flügel wieder fallen läßt.

Gieb mir das Niebeseßne wieder:
das Glück der Tat, das Recht zu Ruhn, -
mit einem Wiegen deiner Glieder,
mit einem Blick für meine Lieder,
mit einem Grüßen kannst du's tun.

Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier

Unsere Liebe hat keine Gewalten



hören


Unsere Liebe hat keine Gewalten.
So will uns unsere Liebe sehn:
Dass wir uns bei den Händen halten
Und durch Gesichte und Gestalten
Ihrem Garten entgegengehn.

Keine Tore dürfen wir sprängen
Auf dem weiten Wandern ins Glück;
Aber wenn wir uns in Gartengängen
Reife Ranken den Weg verhängen,
Drängen wir sie zärtlich zurück.

Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier

Dienstag, 10. Januar 2012

Das Land ist licht



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Das Land ist licht und dunkel ist die Laube,
und du sprichst leise und ein Wunder naht.
Und jedes deiner Worte stellt mein Glaube
als Betbild auf an meinen stillen Pfad.

Ich liebe dich. Du liegst im Gartenstuhle,
und deine Hände schlafen weiß im Schooß.
Mein Leben ruht wie eine Silberspule
in ihrer Macht. Lös meinen Faden los.


Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier

Montag, 9. Januar 2012

Leise ruft der Buchenwald



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Leise ruft der Buchenwald.
Winkt mit seinen jungen Zweigen
weit hinaus ins Wiesenschweigen.

Kommt mein blonder Liebling bald
mir die tiefen Wege zeigen,
wo die Lichter wie Elfen reigen?

Kommt mein blonder Liebling bald?

Grüßend wird meine Seele sich neigen.
Meine Seele ist maieneigen
wie der rufende Buchenwald.

Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier