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ich breite einsam beide Arme aus,
und keiner sagt mir, wo ich hingehöre.
......

aus Rilke: "Mir ist, als ob ich alles Licht verlöre"

Dienstag, 21. Februar 2012

Der Apfelgarten


Der Apfelgarten

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Komm gleich nach dem Sonnenuntergange,
sieh das Abendgrün des Rasengrunds;
ist es nicht, als hätten wir es lange
angesammelt und erspart in uns,

um es jetzt aus Fühlen und Erinnern,
neuer Hoffnung, halbvergeßnem Freun,
noch vermischt mit Dunkel aus dem Innern,
in Gedanken vor uns hinzustreun

unter Bäume wie von Dürer, die
das Gewicht von hundert Arbeitstagen
in den überfüllten Früchten tragen,
dienend, voll Geduld, versuchend, wie

das, was alle Maße übersteigt,
noch zu heben ist und hinzugeben,
wenn man willig, durch ein langes Leben
nur das Eine will und wächst und schweigt.

Aus Rainer Maria Rilke: Das Buch der Bilder

Ich schreite einsam weiter



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Ich schreite einsam weiter. Mir zuhäupten
fühl ich den Frühling in den Zweigen zittern.
Und einmal werde ich mit unbestäubten
Sandalen warten an den Garten gittern.

Und du wirst kommen wenn ich dann dich brauche
und wirst mein Zaudern nehmen als ein Zeichen,
und wirst mir still vom allerletzten Strauche
die vollen Sommerrosen niederreichen.

Aus Rainer Maria Rilke: Dir zur Feier

Donnerstag, 16. Februar 2012

Gott spricht zu jedem nur


Gott spricht zu jedem nur

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Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht,
dann geht er schweigend mit ihm aus der Nacht.
Aber die Worte, eh jeder beginnt,
diese wolkigen Worte, sind:

Von deinen Sinnen hinausgesandt,
geh bis an deiner Sehnsucht Rand;
gib mir Gewand.

Hinter den Dingen wachse als Brand,
daß ihre Schatten ausgespannt,
immer mich ganz bedecken.

Laß dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken.
Man muß nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste.
Laß dich von mir nicht trennen.
Nah ist das Land,
das sie das Leben nennen.

Du wirst es erkennen
an seinem Ernste.

Gib mir die Hand.

Aus Rainer Maria Rilke: Das Stunden-Buch

Mittwoch, 15. Februar 2012

Ich kann nicht glauben



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Ich kann nicht glauben, daß der kleine Tod,
dem wir doch täglich übern Scheitel schauen,
uns eine Sorge bleibt und eine Not.

Ich kann nicht glauben, daß er ernsthaft droht;
ich lebe noch, ich habe Zeit zu bauen:

mein Blut ist länger als die Rosen rot.
Mein Sinn ist tiefer als das witzige Spiel
mit unsrer Furcht, darin er sich gefällt.
Ich bin die Welt,
aus der er irrend fiel.

Aus Rainer Maria Rilke: Das Buch vom Mönchischen Leben

Gesicht, mein Gesicht



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Gesicht, mein Gesicht:
Wessen bist du; für was für Dinge
Bist du Gesicht?
Wie kannst du Gesicht sein für so ein Innen
Darin sich immerfort das Beginnen
Mit dem Zerfließen zu etwas ballt?
Hat der Wald ein Gesicht?
Steht der Berge Basalt
Gesichtlos nicht da?
Hebt sich das Meer
Nicht ohne Gesicht
Aus dem Meergrund her?
Spiegelt sich nicht der Himmel drin
Ohne Stirn ohne Mund ohne Kinn ?

Aus Rainer Maria Rilke: Improvisationen aus dem Capreser Winter (Vollendetes)

Samstag, 11. Februar 2012

Der Sommer summt


Übung am Klavier

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Der Sommer summt. Der Nachmittag macht müde;
sie atmete verwirrt ihr frisches Kleid
und legte in die triftige Etüde
die Ungeduld nach einer Wirklichkeit,

die kommen konnte: morgen, heute abend -,
die vielleicht da war, die man nur verbarg;
und vor den Fenstern, hoch und alles habend,
empfand sie plötzlich den verwöhnten Park.

Da brach sie ab; schaute hinaus, verschränkte
die Hände; wünschte sich ein langes Buch -
und schob auf einmal den Jasmingeruch
erzürnt zurück. Sie fand, daß er sie kränkte.

Aus Rainer Maria Rilke: Der neuen Gedichte anderer Teil

Da neigt sich die Stunde


Da neigt sich die Stunde

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Da neigt sich die Stunde und rührt mich an
mit klarem, metallenem Schlag:
mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann -
und ich fasse den plastischen Tag.

Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,
ein jedes Werden stand still.
Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut
kommt jedem das Ding, das er will.

Nichts ist mir zu klein, und ich lieb es trotzdem
und mal es auf Goldgrund und groß
und halte es hoch, und ich weiß nicht wem
löst es die Seele los...

Aus Rainer Maria Rilke: Das Buch vom mönchischen Leben